Reminiszenzen
Sie hieß Danun Nunda, und sie vereinigte in sich alle Eigenschaften eines Esels. Sie war das Kind ihrer Eltern so wie ich das Kind meiner Eltern war, und wir wohnten alle im selben Haus. Es geschah an einem Tag, der in der Ferne der Vergangenheit kaum mehr auszumachen ist, als Danun Nunda den Hausflur herunterpolterte, auf dessen unteren Treppenabsatz ich ihr den Weg versperrte. Ich war ein Feigling von etwa acht, neun Jahren und sie ein Esel, der mich mindestens um Kopfeslänge überragte. Meine Feigheit aber kannte Grenzen, und eine davon hieß Danun Nunda, denn sie war ein Mädchen, und von Mädchen geht im Allgemeinen keine Gefahr aus. Ein willkommenes Opfer also, das mich wie erwartet nicht zur Seite schubste, sondern an mir in Eselsmanier vorbeizugaloppieren versuchte, Versuche, die meine kindliche Fiesheit einige Male zu vereiteln wusste, solange, bis es mir langweilig wurde oder meine Mutter nach mir rief …
Die Zeit ging über diese Episode hinweg wie die Zeit über derlei Episoden hinwegzugehen pflegt, sie wischte wie eine Lehrerin die Tafel die Erinnerung aus dem Gedächtnis – des Täters. Ich war ein Feigling um die Zwanzig, als ich Danun Nunda wiedersah. Aus einem kleinen Esel war ein großer geworden, der mich immer noch um Kopfeslänge überragte. Ich hatte lockere Beziehungen zu ihrer Clique geknüpft und dachte mir nichts Böses dabei, als mir Danun Nunda eines Tages, welcher in der Ferne der Vergangenheit kaum mehr auszumachen ist, den Weg versperrte. Sie hatte nichts vergessen, die Demütigung, damals auf der Treppe, ein Fleck auf der Tafel ihrer Seele, den die Zeit nicht wegzuwischen vermochte. Sie verbot mir frank und frei den ferneren Umgang mit ihren Freunden. Und ahnte nicht, dass sie im Augenblick ihrer späten Rache vom Opfer zum Täter geworden war.